2020
2020

Ich ich bin 31 Jahre alt und wohne in Norddeutschland. Schon seit meiner Kindheit war ich auffällig. Ich galt immer schon als sehr schüchtern, zurückgezogen, als Mimöschen, mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten. Ich passte einfach noch nie zu einer bestimmten Gruppe, ich bin einfach anders, ich war auch in meiner Kindheit nie frei und unbeschwert.

 

Schon mein Start ins Leben war nicht ganz unproblematisch: Möglicherweise habe ich schon im Mutterleib einiges von dem Stress, der Angst und Unsicherheit meiner Mutter mitbekommen. 

 

Von meiner frühen Kindheit bis ins Teenageralter gab es viel Durcheinander in der Familie und mit Menschen und Vertrauenspersonen, die zeitweise bei meiner Mutter und mir lebten. Ziemlich sicher habe ich einiges gehört, gesehen und erlebt, woran ich mich heute gar nicht genau im Einzelnen erinnern kann – und das ist auch erst mal gut so, denn das schützt mich. Meine empfindsame Kinderseele konnte das Erlebte jedenfalls nicht verarbeiten und entwickelte einen funktionierenden Schutz- und Überlebensmechanismus: die Dissoziation. Wie schlecht es mir ging, hat zu dieser Zeit niemand bemerkt und ich konnte mir keine Hilfe holen.

 

Ich war immer schon eine Außenseiterin. Schon im Kindergarten habe ich nie dazu gepasst. In der Schule wurde ich ab der 6. Klasse gemobbt. Ich bin oft völlig aufgelöst nach Hause gekommen und bekam dort nicht die Unterstützung, die ich gebraucht hätte. Ich liebe meine Mutter und sie hat immer ihr Bestes für mich getan, doch musste sie Vollzeit arbeiten und hatte deshalb nur bedingt Zeit, zumal sie lange Zeit selber depressiv war.

 

Mich wohl und sicher in meinem Körper zu fühlen habe ich nie gelernt. 

 

Nach der Realschule, gab es eine wirklich gute Zeit in meinem Leben; ich war fast zwei Jahre lang als Au Pair in den USA. In der Zeit konnte ich meine Probleme ziemlich gut verdrängen. Mir fiel es dort immer noch schwer herauszufinden zu wem ich passe und habe oft meinen Freundeskreis gewechselt. Meine Verhaltensweise war dort auch teilweise krankhaft, aber ich war davon überzeugt, dass es mir sehr gut ging. Ich habe Freunde gefunden und zum allerersten Mal ein Hobby gefunden. Fallschirmspringen! Ich verließ Amerika, weil ich mir beim Fallschirmspringen einen Arm gebrochen hatte und plötzlich wollte ich einfach nach Hause.

 

Nachdem ich wieder zurück in Deutschland war, im September 2011, folgte dann aber der totale Absturz. Der Kulturschock war riesig und ich fühlte mich wie ein Alien. Dass ich schon schwer depressiv war, wusste ich nicht, als ich im Juli 2012 eine Ausbildung in der Touristikbranche anfing. Die Gesamtsituation überforderte mich komplett und brachte mich geradewegs in die Psychiatrie.

 

Fünf Klinikaufenthalte, die teilweise auch traumatisierend waren, und intensive Therapie seit 2012 bei meiner engagierten Therapeutin und meinem Psychiater haben meine Probleme nur milde und auch nur kurzfristig verbessert. Meine Betreuerin hatte immer ein offenes Ohr für mich, aber in meiner Situation hat es noch nicht nachhaltig geholfen. Anfang 2018 brach meine Psychotherapeutin die Therapie ab, weil sie von sich selbst sagte, dass sie überfordert mit der Situation war. Zwischendurch habe ich immer wieder versucht einen stationären Therapieplatz zu bekommen. Bis heute hat das nicht geklappt, weil die Kliniken Patienten mit Pflegebedarf und sehr komplexen Erkrankugnen nicht aufnehmen. Seitdem stehe ich ohne jegliche therapeutische und ärztliche Begleitung da, außer Physiotherapie und Hausärztin. Das zu akzeptieren, dass Behandler/innen mich ablehnen, weil ich "zu krank" bin ist wirklich hart.

 

Ich bin in meinen 20ern, alltägliche Dinge, wie alleine rausgehen, einkaufen, duschen ... sind für mich unmöglich und ich habe kein soziales Umfeld. Ich bin seit Jahren arbeitsunfähig, davor habe ich mehr schlecht als recht eine schulische Ausbildung probiert, die fehlschlug, da der Druck zu stark wurde, obwohl ich einen Notendurchschnitt von 1,2 hatte.

 

Mit der Zeit kamen immer mehr Flashbacks, sehr lebhafte Erinnerungen von Trauma Inhalten. Es wurde immer deutlicher, dass mir viel mehr angetan wurde als ich und auch meine Mutter wusste. Mittlerweile ist auch klar geworden, dass ich Viele bin. Ich bin multipel, dies hat mir das Überleben ermöglicht.

 

Anfang 2015 nach einem weiteren missglückten Psychiatrieaufenthalt, las ich zum ersten Mal über Assistenzhunde für psychisch kranke Menschen. Ich nahm alle Kraft zusammen und suchte mir Unterstützung. Mitte 2016 zog Alec, mein Assistenzhund in Ausbildung bei mir ein. Aber das was ich mir erhofft hatte, stellte sich als ziemlichen Fehlschlag raus. Ich geriet an eine unseriöse Assistenzhundeschule und die Belastung durch den Hund führte zu einer rapiden Verschlechterung meines Gesamtzustandes. Eines Abends im Juni 2016, als ich mit Alec spazieren war, zog er mich durch die Gegend und ich bekam Panik. An diesem Abend versagten mir die Beine und seitdem kann ich nicht mehr laufen. Ich hatte gehofft, dass die Lähmungserscheinungen mit Abgabe von Alec verschwinden, das taten sie aber nicht.

 

Seit dem Sommer 2016 bin ich nun gelähmt. Mit der Zeit wurde die Lähmung immer ausgeprägter. Am Anfang konnte ich noch ein paar Schritte mit Hilfe von Gehstützen gehen, aber seit 2017 kann ich meine Beine gar nicht mehr bewegen und meine gesamte Körper-spannung inkl. Kopfhaltung und Kraft in den Armen ist nur noch minimal vorhanden. Ich bin vollständig bettlägerig. Trotz der fortschreitenden Lähmungserscheinungen wurde bei körperlichen Untersuchungen keine medizinische Erklärung gefunden. Zur besseren Verständlichkeit: meine Physiotherapeutin hat mich mit jemanden verglichen die eine weit fortgeschrittene MS hat; nur das meine Lähmung rein dissoziativ ist.

Zusätzlich habe ich die Fähigkeit zu sprechen verloren.

Ich habe Pflegegrad 4 und einen Grad der Behinderung von 100.

 

So wie mein Alltag momentan im Jahr 2020 ist, beschreibt am Besten dieser Blogartikel.

 

Ich habe eine Vielzahl von Diagnosen, die mir durch ihre Komplexitöt mein Leben zur Hölle machen. Aber ich habe mich dazu entschieden weiter zu existieren. Es ist okay sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht und es ist definitv okay darüber zu reden.

 

Weitere Informationen über meine Psychische Erkrankung.