Klare Worte erleichtern den Umgang

Ein Beitrag von Judith, aus der Sicht der Angehörigen.

 

„Meine Tochter ist psychisch krank“ Dieser Satz, zu Außenstehenden gesagt, öffnet beim Empfänger der Botschaft das Kopfkino, gefüttert von den Medien. Eine Psychisch kranke Mutter ersticht ihre Kinder im Schlaf, ein psychisch kranker Jugendlicher begeht einen Amoklauf an seiner Schule, ein psychisch kranker Torwart wirft sich vor den Zug. Dieser Sammelbegriff „psychisch krank“ ist völlig ungreifbar, macht unsicher, macht Angst und macht hilflos. Psychisch Kranke, das sind Menschen, die außerhalb der Normalwelt stehen. Deshalb bemühe ich mich, diesen Begriff nicht mehr zu verwenden.

 

Es gibt so viele verschiedene seelische Krankheiten und Auffälligkeiten. Organische Erkrankungen, Suchterkrankungen, Schizophrenie und wahnhafte Störungen, affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen und einige mehr. Keine dieser Erkrankungen ist wie die andere, alle haben unterschiedliche Auslöser, Verläufe und Symptome. Warum werden alle in einen Topf geworfen? Genauso gut könnte man sagen: „mein Vater hat eine Erkrankung der Atemwege“, ohne zu erklären, ob es eine Nasennebenhöhlenentzündung oder Lungenkrebs ist. Jeder würde nachfragen, was es denn genau ist!

 

Ich denke, vor dem Unbekannten hat man immer am meisten Angst. Wenn ich von einem Menschen nur weiß, dass er „psychisch krank“ ist, dann bin ich unsicher. Ist der Mensch vielleicht gefährlich? Wird er leicht aggressiv? Setzt er seine Suizidgedanken in die Tat um, wenn ich ihn unabsichtlich verletze? Kann er einem Gespräch überhaupt folgen oder lebt er in einer Phantasiewelt? 

 

In der Zeitung lesen wir von grausamen Verbrechen, die Psychisch Kranke begangen haben. Im Kino sehen wir Filme, in denen psychische Erkrankungen völlig überzogen dargestellt werden (natürlich gibt es auch hier Ausnahmen und wirklich gute Filme). Aber was wirklich fehlt, ist Aufklärung über verschiedene Krankheitsbilder und nicht nur Sensationsjournalismus über die spektakulärsten Fälle. Und was es vor allem braucht, ist ein offener Umgang mit der Krankheit. Gerade heute wurde ich gefragt, ob ich das Gefühl habe, dass ich als Angehörige oder meine kranke Tochter stigmatisiert oder ausgegrenzt wird. Nein, das Gefühl habe ich gar nicht. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen, denen ich von meiner Situation und der besonderen Krankheit meiner Tochter erzähle, zugewandt, interessiert und äußerst entgegenkommend und hilfsbereit sind. Ob das bei der Arbeit ist, in der Nachbarschaft oder im Freundeskreis. Natürlich versuche ich, Johannas sehr komplexe Erkrankung so vereinfacht zu erklären, dass auch Leute, die noch nie mit dem Thema in Berührung gekommen sind, etwas darunter vorstellen können. Die Reaktion ist meistens Erstaunen und Verwunderung, natürlich auch ein Stück Hilflosigkeit, aber dann habe ich auch immer das Gefühl, dass ich Verständnis bekomme. Bisher habe ich nur gute Erfahrungen mit meiner Strategie gemacht, offen mit der Erkrankung umzugehen. Und letztlich erfahre ich auch immer wieder, dass andere Leute auch einen Angehörigen oder Freund/in mit einer der vielen verschiedenen psychischen Erkrankungen haben. Wenn ich dann höre: „meine Schwester hat eine bipolare Störung“ oder „meine Mutter ist depressiv“, dann kann ich mir etwas darunter vorstellen. Unter dem Sammelbegriff „…ist psychisch krank“ nicht.

 

Wenn ich eine Selbsthilfegruppe für Angehörige Psychisch Kranker besuche, dann bin ich bisher immer die Einzige gewesen, die ein Familienmitglied mit einer Dissoziativen Identitätsstörung hat. Die Eltern von Psychotikern haben ganz andere Probleme als ich. Ich werde meine Tochter nie aus Sicherheitsgründen mit der Polizei abholen und zwangseinweisen lassen, dafür gäbe es überhaupt keinen Grund. Ich werde weder bedroht noch bestohlen. Auch hier ist der Sammeltopf, in dem Fall für die Angehörigen, kein gutes Instrument. Das Einzige, was ich mit den anderen Angehörigen gemeinsam habe, ist die Hilflosigkeit. Und mit Sicherheit den Ärger mit Behörden.

 

Ich werde also weiterhin offen mit dem Thema umgehen und möglichst konkret sagen, was Sache ist. Das schafft Transparenz und damit Verständnis und den Abbau von Ängsten. Vielleicht ein kleiner Beitrag zur Inklusion und Nicht-Diskriminierung.

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Kommentare: 4
  • #1

    Jana Herr (Freitag, 25 Januar 2019 22:23)

    Super geschrieben . Ich bin auch immer offen mit der Krankheit meiner Tochter umgegangen . Die Schule mein Arbeitgeber jeder wusste Bescheid . Das Ende vom Lied war das die Klassenlehrerin meiner Tochter Angst vor meiner Tochter hatte . Am Anfang durfte sie noch nicht mal gemeinsam mit ihren Klassenkameraden auf Fahrt gehen . Ja und ganz zum Schluss kam jetzt die Mutter_Kindkur die ich machen wollte . Meine Tochter hätte ich mit der Diagnose Schizophrenie nicht mitnehmen dürfen . Gott sei Dank hat sie eine gute Psychologin die ein Gutachten in die Klinik geschickt hat um zu bescheinigen das mein Kind keine Gefahr ist

  • #2

    Marion (Freitag, 25 Januar 2019 22:32)

    Genauso ist es als Angehöriger ist es sehr schwierig. Meine Tochter ist behindert und hat seit gut einem jahr Depressionen, posttramalische belastungsstörung. Hat bis August in einer Werkstatt gearbeitet, ist jetzt seit dem zuhause. Ich weiß selbst nicht wie ich damit umgehen soll. Bin auch ihre gesetzliche betreuerin. Alles nicht so einfach.

  • #3

    VieleSchmetterlinge (Samstag, 16 Februar 2019 20:52)

    Hallo,
    Nicht jede Mutter hat so eine positive und offene Einstellung. Deshalb freut es mich zu hören, dass Sie Ihre Tochter und damit alle Anteile so gut im Therapieprozess und im Alltag unterstützen und dies angenommen wird. Sicher trägt dies auch zu einer positiven Bindung aller bei und es gibt für Sie natürlich keinen Anlass aus Sicherheitsgründen eine Einweisung zu veranlassen, wenn sich im Innen niemand bedroht fühlt, sondern in Ihrer Umgebung mit der Unterstützung sicher und gehalten. Für Ihre Arbeit und Ihre Bemühungen auch mit der Außenwelt dieses Krankheitsbild zu erklären, haben Sie meine vollste Anerkennung!

  • #4

    A. (Freitag, 19 Juli 2019 00:11)

    finde es super, dass so offen mit dem Beschwerdebild umgegangen wird und sie ihre Tochter wo es irgend geht unterstützen. Grade bei Dissoziativen Störungen und den komplexen Traumatisierungen ist das Tabu leider noch viel zu gross. Zumal grade bei den vielen verschiedenen Dissoziativen Störungen die Traumagolie noch in den Kinderschuhen steckt. Grade die Dissoziative Identitätstörung wird schwer verstanden, weil sie sich die wenigsten vorstellen können.