Mein eigener Weg aus der Klinikmisere

Das Thema Klinikaufenthalte ist bei mir ja ein Dauerbrenner. Meine Einstellung zu Kliniken hat sich geändert. In diesem Beitrag hole ich etwas aus um die Entwicklung besser verständlich zu machen. Es geht um ambulante und stationäre Therapie, Erfahrungen in der Psychiatrie, die Schwierigkeiten überhaupt einen Therapieplatz zu bekommen, meine Kritik am Gesundheitssystem und um das was ich daraus gelernt habe.

Zur Vorgeschichte

Ambulante Psychotherapie hatte ich eigentlich von 2012 bis Januar 2018. Allerdings konnten wir seit Anfang 2015 nur noch niedrigschwellige unterstützende Gespräche führen. Warum? Wenn die Therapeutin an belastende Themen kratzte, dann dissoziierte ich um mich dem Thema nicht stellen zu müssen. Das geschah natürlich unbewusst, bzw. ohne Absicht und sicherlich auch von Innen zum Schutz. Diese Barriere konnte meine damalige Therapeutin und ich nicht brechen. Außerdem hielt sie dies auch gar nicht für gut, solange ich so eng mit meiner Mutter zusammen war. Sie meinte, eine Therapie, vor allem Traumatherapie, sei nur im geschützten Klinikrahmen, weit weg von Zuhause, möglich. Traumatherapie ganz alleine und zu Hause war mir aber auch selbst zu riskant durch meine latente Suizidalität. Ganz abgesehen davon zahlt die Krankenkasse ja nicht unbegrenzt Therapiestunden. Zwischendurch musste ich eine längere Pause einlegen.

 

Also bemühte ich mich um einen stationären Therapieplatz. Drei Wochen Akutpsychiatrie in Hamburg im März 2015 haben erst mal wieder ganz viel kaputt gemacht. Ein aggressives Umfeld auf der Station und mein Gefühl des Nicht-verstanden-werdens führten dazu, dass ich abbrach. Erst im August 2016 hatte ich wieder soweit Mut gefasst, dass ich für einen weiteren Klinikaufenthalt bereit war. Zu dem Zeitpunkt stand auch die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ fest. Also musste es eine Klinik sein, die Erfahrungen in der Behandlung von Multiplen hat. Allerdings saß ich da schon wegen der dissoziativen Bewegungsstörung im Rollstuhl.

 

Was dann passierte, hat mich an unserem Gesundheitssystem zweifeln lassen! Meine Therapeutin und ich haben bei ungefähr 60 bis 70 Kliniken in ganz Deutschland und den Niederlanden angefragt. Damals hatte ich dazu schon einen Blogeintrag geschrieben.

 

Ich landete dann ja endlich in einer sehr guten Klinik in Bayern, allerdings nur zu einem drei-wöchigen Probeaufenthalt. Die Fortsetzung ein Jahr später entfiel, weil meine Ärztin inzwischen nicht mehr dort arbeitet und keine spezialisierte Nachfolgerin eingestellt wurde.

 

Stattdessen versuchte ich es noch einmal in der hiesigen Akutpsychiatrie. Wieder einmal wurde ganz klar, dass es überhaupt keinen Sinn macht, in eine Klinik zu gehen, in der sich Ärzte und Pflegepersonal nicht wirklich mit DIS und anderen dissoziativen Symptomen auskennen. 

 

Seitdem ist wieder ein halbes Jahr vergangen. Im Hilfeplangespräch, in dem über das Persönliche Budget entschieden werden sollte, wurde mir unterstellt, dass ich mich gegen einen Klinikaufenthalt sträuben würde. Das stimmt, aber nur insoweit, dass ich auf gar keinen Fall nochmal in eine Akutpsychiatrie gehen werde. Dreimal Traumatisierung in einer Klinik reicht doch eigentlich oder?! Ich müsse meine Erwartungshaltung runterschrauben. Ich möchte aber nur nicht von Ärzten behandelt werden, die noch nicht mal ganz generell an die DIS glauben und meinen, Dissoziationen wären nur um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Das zeigt mir deutlich, dass ich bei so jemandem nicht gut aufgehoben bin.

Der neue Versuch

Weil ich aber hier in meiner Heimatstadt keinerlei Chance habe, eine ambulante Therapeutin zu finden und weil ich auch nicht in der Lage bin, zur Therapie in eine Großstadt zu fahren, ist stationäre Therapie für mich die einzige Möglichkeit, überhaupt mit einer Therapeutin an meinen Themen zu arbeiten. Also nochmal von vorne! Letzte Woche habe ich nochmal ca. 35 Kliniken angeschrieben, kurz meinen Zustand erläutert und angefragt, ob sie mich denn vielleicht behandeln würden. Das Ergebnis war niederschmetternd.

Ein paar Beispiele:

 

Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Klinikum. Wegen der zahlreichen körperlichen Einschränkungen können wir Sie leider nicht behandeln.“

 

Leider können wir Ihnen nicht helfen, da die Klinik nicht rollstuhlgerecht ausgestattet ist.

 

vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Leider ist unsere Klinik für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen nur sehr bedingt geeignet, für Rollstuhlfahrer gar nicht.“ 

 

Die anderen Absagen waren alle ähnlich. Was mich wirklich traurig macht, ist die Form in der mir geantwortet wurde. Ich erwarte und will auch nicht, dass man mich bemitleidet. Ein bisschen mehr Freundlichkeit, als ein Satz und die „freundliche Grüße“ hätte ich schon gut gefunden. Schließlich ist auch eine Klinik ein Dienstleistungsunternehmen und ich eine potenzielle Kundin, auch wenn meine Rechnung die Krankenkasse bezahlt.

 

Muss ich extra erwähnen, dass es keine Zusage gab???

 

Nur eine einzige Ärztin hat sich Zeit genommen und mir etwas ausführlicher geantwortet und der Inhalt war wirklich hilfreich:

Ihre Not im Bezug auf das Finden einer geeigneten Behandlung kann ich nachfühlen, möchte jedoch auch mitgeben, ob die Hilfestellung, die das stationäre Setting zu geben vermag, nicht überschätzt wird und hier zu große Hoffnungen geschürt werden. Ich würde die Frage stellen wollen, ob es nicht eher darauf ankommt, ein Hilfesystem zu finden, das gemeinsam ambulant mit Ihnen arbeitet (Sozialarbeit, Beratungsstelle, ärztliche Unterstützung, psychotherapeutische Hilfe etc.), auch wenn dazu ggf. der Wohnort gewechselt werden muss. Manchmal ist solch ein Schritt ja auch für den gesamten Heilungsverlauf entscheidend, auch wenn es natürlich mit sehr viel Aufwand verbunden ist.

 

Eigentlich spricht die Ärztin aus, was ich mir schon lange gedacht habe. Die Schulmedizin kann mir nicht helfen. Nicht weil die Ärzte unfähig wären, sondern vor allem weil unser Gesundheitssystem einfach nur nach starren Regeln funktioniert und ich mit meiner komplexen Erkrankung in keine Schublade passe. 

Mein Fazit

Also muss ich wohl meinen ganz eigenen Weg finden. Und das möchte ich auch! Ich glaube, dass die Pflege WG ein guter Schritt ist. Immer wenn ich gefragt werde, was mir helfen könnte, sage ich: Hundewelpen streicheln und Blumen angucken. Beides hört sich zuerst einmal seltsam an. Die Bedeutung liegt aber in der Natur und darin, die Schönheit des Lebens zu sehen. Ich suche Ruhe und einen sicheren Platz, an dem ich mich wohl fühle. Ich kann mir vorstellen, dass so ein Umfeld sich ungemein positiv auf mich/uns auswirken kann. 

 

Das bringt mich dazu, nicht mehr meine Energie in hoffnungslose Aktionen zu stecken, bei denen das Scheitern vorprogrammiert ist, wie z. B. die Suche nach einer Klinik. Andererseits gibt es mir viel mehr Zeit und Energie mir Gedanken darüber zu machen, wie ich den neuen Weg gestalten kann. 

 

Die Verwirklichung des Wohnprojektes ist aber noch nicht absehbar. In der Zwischenzeit versuche ich, auch wenn es mir oft unmöglich erscheint, hier zu Hause, mich mit kleinen, schönen, angenehmen Dingen zu umgeben: Der Therapiehund, der uns einmal in der Woche (bald vielleicht sogar zweimal) besuchen kommt, öfters mal ein frischer Blumenstrauß in meinem Zimmer, meine monatliche Buddybox (#WerbungWeilNamensnennung), schöne Deko und vielleicht fällt mir ja noch was ein. Wenn mein neuer Rollstuhl da ist, der mir mehr Stabilität im Sitzen geben soll, dann versuchen wir auch mal wieder öfter das Bett zu verlassen und an die frische Luft zu gehen. Die Dachterrasse meiner Mutter wäre da zumindest schonmal ein Zwischenziel.

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Kommentare: 1
  • #1

    Christiane (Sonntag, 02 September 2018 21:42)

    Ich freue mich über deine Entscheidung. Es ist nicht leicht, den eigenen Weg zu finden und dann auch zu gehen. Weil es eben kein vorgefertigter Weg ist und es auch immer mal Sackgassen gibt. Aber wenn du erstmal gestartet bist und deine Ziele erreichst, fühlt sich der eigene Weg viel besser an als einer, den schon viele vorher gegangen sind. Es ist dein Weg, der auch zu deinem Leben passt. Und auch in einer Sackgasse wachsen schöne Blumen, die du spätestens auf dem Weg hinaus entdecken wirst.
    Ich drücke dir die Daumen, dass das Projekt "Pflege-WG" Schritt für Schritt Gestalt annimmt und dass dich dabei Menschen mit Herz und Verstand unterstützen. <3