Mit Behinderung zum Zahnarzt

Eigentlich hatte ich diesen Blogartikel ganz anders geplant. Ich wollte einen ersten informativen Teil schreiben, wie wir an eine Zahnarztpraxis gekommen sind, die behinderte Menschen unter Vollnarkose behandelt, unter welchen Umständen die Narkose von der Krankenkasse übernommen wird und wie unsere weitere Vorbereitung verlaufen ist. Und im zweiten Teil wollte ich von meinem super gut geplanten und abgesprochenen Zahnarzttermin inklusive Liegendtransport im Krankenwagen und der erfolgreichen Behandlung berichten. Nun hat jedoch wieder Murphys Gesetz „Was schiefgehen kann, wird schiefgehen“ volle Breitseite zugeschlagen. Familie Kraus hat einfach das Pech gepachtet: Mit einer mir uneinsichtigen Begründung, dass ich aufgrund meiner Behinderung nicht zu händeln sei, wurde sechs Tage vor dem eigentlichen Termin die Behandlung verweigert, obwohl ich drei Monate darauf gewartet hatte und vorher alles in der Praxis persönlich abgesprochen war. Ich musste den Plan für diesen Artikel also nochmal überdenken. 

Teil 1 - Vorbereitung

Zahnarzt – bei dem Gedanken daran bibbert bestimmt nicht nur bei mir der ganze Körper. Die wenigsten Leute gehen gerne zum Zahnarzt, aber ich nehme an, dass besonders viele Menschen mit Angststörungen und PTBS damit genauso ein riesengroßes Problem haben wie ich. Klar sind viele Behandlungen an den Zähnen unangenehm bis schmerzhaft, aber das ist für mich gar nicht so ein großes Hindernis. Ich habe nur bedingt Angst vor möglichen Schmerzen, viel mehr ist das Gefühl ausgeliefert und hilflos zu sein, sich nicht bewegen zu dürfen, und Menschen die dicht über meinem Gesicht stehen eine Situation, die ich nicht aushalten kann. Alleine schon die unmittelbare Nähe von der Ärztin und den Zahnarzthelferinnen, ohne dass überhaupt was behandelt wird ist für mich persönlich schon ein Auslöser für viele verschiedene Symptome – von Panikattacke bis hin zum Krampfanfall. Da kann die Ärztin noch so nett sein, ein Persönlichkeitswechsel oder geschweige denn ein Krampfanfall während sie gerade in meinen Zähnen bohrt, wäre für alle Beteiligten wirklich gefährlich.

 

Ein normaler Zahnarztbesuch ist für mich also gar nicht möglich. Was also tun? 

 

Ich fange am besten ganz von vorne an. Als ich 16 Jahre alt war wurden mir alle vier Weisheitszähne unter Vollnarkose gezogen. Fünf Jahre später hatte ich schon ausgeprägte Ängste, aber noch nicht so viele andere Symptome. Deswegen ließ ich mich nochmal unter Vollnarkose behandeln. Das mussten wir selber bezahlen – kostete ca. 500 Euro.

 

Als 2016 der nächste Zahnarztbesuch dringend nötig war, musste ich den Zahnarzt wechseln, weil die erste Praxis keine Narkosebehandlungen mehr anbot. Außerdem saß ich zu dem Zeitpunkt schon im Rollstuhl, also brauchte ich eine barrierefreie Praxis. 

 

Meine Mutter, die alle Termine für mich regelt, machte sich also auf die Suche nach einer neuen rollstuhlgerechten Praxis. Im Internet fand sie bei der Zahnärztekammer Niedersachsen die Zahnärztliche Arbeitsgruppe für Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen e. V.. Dort gibt es eine Liste von Zahnarztpraxen, die barrierefrei sind, Narkosebehandlungen anbieten und generell auf die Behandlung behinderter Menschen vorbereitet sind.

als Beispiel
als Beispiel

Die Vollnarkose beim Zahnarzt ist für mich ja nicht nur nice-to-have, weil es angenehmer ist, sondern die Voraussetzung, dass ich überhaupt behandelt werden kann. Also fragte meine Mutter bei meiner Krankenkasse an, unter welchen Voraussetzungen eine Vollnarkose von der Kasse bezahlt wird. Wenn der Zahnarzt bestätigt, dass die Narkose medizinisch notwendig ist, übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Das machen Zahnärzte natürlich nicht einfach so. Also besorgten wir ein Attest meines Psychiaters, dass meine Symptome eine Behandlung unter Vollnarkose notwendig machen. Das Attest bekommt die Zahnarztpraxis und die kann dann die Narkose als Kassenleistung abrechnen und ich muss nichts dafür bezahlen.

 

Anhand der Liste von der Zahnärztekammer fand meine Mutter einen Zahnarzt, der ganz in der Nähe ist und wir machten einen Termin zum Kennenlernen. Die Praxis sollte rollstuhlgerecht sein, aber es war alles super eng und verwinkelt. Aber wenigstens durften wir gleich ins Sprechzimmer, ohne Zwischenstation im Wartebereich. Ich erwarte von keinem Zahnarzt, dass er Kenntnisse oder Erfahrung mit Dissoziativen Störungen aller Art hat und immer richtig darauf reagieren kann. Deswegen hatten wir vorher schon eine schriftliche Information über mein Krankheitsbild dort abgegeben. Aber dem Zahnarzt mangelte es an Empathie, Geduld und Freundlichkeit. Er lehnte es auch strikt ab, die Narkose als Kassenleistung abzurechnen (dafür bekommt er ein bisschen weniger Geld, als wenn der Patient es selber zahlt). Da waren wir ganz schnell wieder draußen!

 

Der zweite Versuch war dann erfolgreich. Im Nachbarort fanden wir eine sehr nette Zahnärztin, die gleich ganz anders mit mir umging und deren Praxis hell, freundlich und vor allem rollstuhlgerecht war. Die Kassenabrechnung war auch überhaupt kein Problem und sie hat ein mobiles Röntgengerät, mit dem Aufnahmen gemacht werden können, während ich schon in Narkose auf dem Stuhl sitze. Mit meiner Klaustrophobie bin ich nicht in der Lage in einem kleinen, dunklen Röntgenraum zu sein. Die Behandlung verlief sehr positiv, die Narkoseeinleitung ging schnell und nach dem Wachwerden konnte ich auf dem Stuhl sitzen bleiben, bis ich soweit war die Praxis zu verlassen. Drei Jahre lang war ich danach ohne Beschwerden.

 

Mein Tipp mit der Kassenabrechnung ist: sich nicht zufrieden zu geben, wenn ein Arzt fälschlicherweise behauptet, dass die Narkose auch bei medizinischer Notwendigkeit nicht übernommen wird.

 

Mit der positiven Erfahrung dachte ich eigentlich, dass ich mir über das Thema Zahnarzt keine Sorgen mehr machen muss. Eine nette Ärztin mit rollstuhlgerechter Praxis und mobilen Röntgengerät, die unter Vollnarkose behandelt und die Abrechnung verlief auch ohne Probleme.

Teil 2 - Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

Im Herbst letzten Jahres merkte ich, dass ich ein Loch im Zahn hab. Also war es Zeit, wieder einen Termin bei meiner Zahnärztin zu machen. In der Zwischenzeit hat sich mein körperlicher Zustand nochmal deutlich verschlechtert. Deswegen fuhr meine Mutter Ende November zu einem Vorgespräch mit der Ärztin, um abzuklären, dass ich voraussichtlich mit dem Krankenwagen liegend dorthin gebracht werde. Die Ärztin war sehr zuversichtlich und meinte, das könnte alles geregelt werden. Zusammen schauten sie sich die Räumlichkeiten an, um sich zu versichern, dass ich mit der Trage vom RTW direkt zum Stuhl gebracht werden kann. Ich sollte als Erste an dem Behandlungstag drankommen, um Wartezeit zu vermeiden. Es wurde gleich ein Termin für Ende Februar vereinbart und ich hoffte, dass mein Zahn so lange durchhält. 

 

Jetzt gab es natürlich wieder einiges vorzubereiten:

  • Ein Attest des Psychiaters über die Notwendigkeit der Vollnarkose
  • Ein Attest meiner Hausärztin, dass keine medizinischen Bedenken gegen eine Vollnarkose bestehen
  • Einen Krankenwagen zum Transport bestellen
  • Meine Mutter musste Urlaub beantragen, damit sie die ganze Zeit für mich da sein kann

Genau eine Woche vor dem Termin meldete die Praxis sich, wie abgesprochen, nochmal bei meiner Mutter, um den Termin zu bestätigen. Nun fing das Ganze an kompliziert zu werden. Die Praxismanagerin wusste offensichtlich nichts von dem Vorgespräch mit der behandelnden Zahnärztin und zweifelte alles an, was damals besprochen wurde. Es wäre gar nicht möglich, mit der Trage aus dem Krankenwagen in den Behandlungsraum zu fahren. Nach der Behandlung müsste ich den Stuhl räumen und in ein anderes Zimmer umziehen, bis ich fit genug bin, um nach Hause zu fahren. Davon wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt nichts. Nur wie soll ich ins andere Zimmer kommen? 

Der eigentliche erste Plan war direkt vom Behandlungsstuhl wieder auf die Trage umgesetzt zu werden. Aber das sei nicht möglich, ich müsste eine Weile in dem provisorischen Aufwachraum bleiben. Natürlich kann man nicht erwarten, dass ein Krankenwagen wartet bis ich richtig wach bin. Die Praxismanagerin meinte, die Helferinnen könnten mich ja stützen oder der Zahnarzt könnte mich rüber tragen. Ähhm… Ich habe kein Restgehvermögen und ich bin adipös. Der Arzt hat so wenig Ähnlichkeit mit Hulk, ich glaub nicht, dass der mich tragen kann, abgesehen davon, dass ich nicht von fremden Männern getragen werden möchte. Das war ein sehr unerfreuliches Gespräch, aber meine Mutter versprach, das Transportproblem zu lösen.


Wir haben also zusammen überlegt, wie ich von A nach B kommen kann:

  • Wir könnten meinen Rollstuhl mitnehmen, in dem kann ich aber nicht aufrecht sitzen, schon erst recht nicht, wenn ich halb narkotisiert bin – entfällt also.
  • Wir könnten beim Sanitätshaus einen Patientenlifter leihen, mit dem ich vom eigentlichen Behandlungsstuhl auf den Aufwachstuhl gesetzt werden kann – aber der Behandlungsstuhl sei nicht unterfahrbar – entfällt also.
  • Wir können uns einen Pflegerollstuhl leihen, der weit genug nach hinten gekippt werden kann, damit ich darin sicher sitzen bzw. liegen kann. Das schien uns die beste Lösung. Und nach einem Telefonat mit unserem super netten Sanitätshausberater war das organisiert, dass am Behandlungstag so ein Rollstuhl in die Praxis gebracht wird.

Es schien also so, als würde der Behandlung nichts mehr im Weg stehen.

 

Falsch gedacht! Nun rief die Zahnärztin an, die berichtete, dass sie mit der Anästhesistin telefoniert hätte und dass diese die Behandlung ablehnt, weil das alles zu kompliziert sei. Daraufhin sprach meine Mutter mit der Anästhesistin. Die meinte sie könnte das nicht verantworten. 


Sie könnte die Verantwortung für die Vollnarkose nicht übernehmen. Fakt ist, es gibt keinerlei medizinische Bedenken, ich habe weder Herz noch Kreislaufprobleme oder sonst was. Wo ist also das Problem? Ich versteh nicht wo es da einen medizinischen Unterschied zu allen anderen Patienten gibt. 

 

Die Praxis wäre gar nicht für solche Behandlungen ausgerichtet. Ach nein? Und wieso machen die dann einmal im Monat einen Narkose-Tag? 

 

Sie wüsste nicht, wie man mich von dem Behandlungsstuhl runter bekommen sollte. Die Transportfrage innerhalb der Praxis war längst geklärt. Das Sanitätshaus hätte uns für den Tag einen Pflegerollstuhl geliehen. Was will man noch mehr? Meine Mutter setzt mich außerdem jeden Tag mehrmals um, warum sollte sie das in der Praxis nicht auch können? 

 

Ich wäre zu schwer, um von den Zahnarzthelferinnen getragen zu werden. Nein wirklich, das ist natürlich ein Argument. Ich stelle mir gerade bildlich vor wie mich zwei kleine Zahnarzthelferinnen unter den Armen stützen und mich halb narkotisiert über den Flur ins andere Zimmer schleifen. Äh, hatte ich schon erwähnt, dass wir einen Pflegerollstuhl besorgt hatten? 

 

Ihr sei gesagt worden, dass ich keine Männer in der Praxis tolerieren würde. Jaja, das war mein erster Befehl, dass alle Männer im Ortsteil evakuiert werden müssen! Da hat irgendwer was falsch verstanden.


Ich weiß, dass einige Bekannte meiner Mutter meinen Blog lesen. Die würden vermutlich alle bestätigen, dass meine Mutter sehr sanft und bedacht ist. Um sie so weit zu bringen, dass sie am Telefon Leute anschreit und weint, braucht es eine ganze Menge!

 

Je mehr wir darüber nachdenken, umso unverständlicher ist die ganze Geschichte. Wie kann es sein, dass ein lang geplanter Behandlungstermin eine Woche vorher abgesagt wird, weil man gerade gemerkt hat, dass das zu kompliziert ist? Und das, obwohl drei Monate vorher alles haarklein persönlich besprochen wurde und ich als Patientin in der Praxis bekannt bin! Wie kann es sein, dass ich aufgrund meiner komplexen Erkrankung immer und immer wieder von allen möglichen Ärzten sofort fallen gelassen werde, sobald denen das zu anstrengend wird? Durch die Art und Komplexität meiner Erkrankung bekomme ich keine Hilfe – mit wenigen Ausnahmen.

 

Und was mach ich jetzt? Ich habe mittlerweile dolle Zahnschmerzen. Jeder gesunde Mensch könnte zum zahnärztlichen Notdienst gehen und würde dort selbstverständlich von seinen Schmerzen befreit werden. Im Rollstuhl und mit der Notwendigkeit einer Vollnarkose klappt das für mich so nicht. Die Zahnärztin selbst würde mich behandeln, die Anästhesistin ist diejenige, die blockiert und mir somit mit für mich nicht nachvollziehbaren Ausreden meine Behandlung verwehrt. Es gibt jedoch einen alternativen Vorschlag von der Anästhesistin: Ich könnte ja zu ihr in ihre Praxisklinik kommen, da hätte sie die entsprechende Ausstattung. Meine Zahnärztin könnte mich da behandeln. Die Klinik ist ca. 100 km von meinem Wohnort entfernt, das bedeutet mindestens eine Stunde Fahrt in einem engen Krankenwagen mit Klaustrophobie. Als meine Mutter am Telefon zu der Anästhesistin meinte, dass das für mich eine ganz schöne Zumutung wäre, erwiderte sie, dass sie ja auch die gleiche Strecke fahren müsste, wenn sie mich hier behandelt. Kann man das wirklich vergleichen?!

 

Ich weiß noch nicht wie es weiter geht. Ich futter alle paar Stunden Schmerzmittel und habe bis ich einen neuen Zahnarzttermin hab, eine reine Suppen-Diät. Mit dem Termin in Aussicht fiel es mir wesentlich leichter die Schmerzen auszuhalten. Aber nicht wissend, wann mir geholfen wird, ist das eine ganz blöde Situation. Heute ist Sonntag. Am Montag wird meine Mutter Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um eine Lösung zu finden. Ich hoffe das gelingt ihr ganz schnell. 

 

...to be continued