Dankbarkeit und Frustration in der Pflege

Ich habe heute von jemanden einen Satz über Dankbarkeit gehört, der mich zum Nachdenken gebracht hat. In etwa ging er so: "Es gibt andere Menschen, die keine Mutter haben, die sich so liebevoll um sie kümmert und Leute, die keine schöne Wohnung haben, dafür solltest Du dankbar sein." 

 

Das hat mich etwas sprachlos gemacht. Erstens, weil ich Vergleiche zu anderen hilfebedürftigen und kranken Menschen schädlich finde. Und zweitens halte ich zwar nicht viel von mir, aber ich kann von mir behaupten, dass ich dankbar bin. Ich sage bzw. gebärde sehr oft "Bitte" und "Danke". Meiner Mutter zeige ich oft überschwenglich meine Dankbarkeit. Meiner Psychologin sage ich nach jedem Termin, wie dankbar ich bin. Der Klinik in Bayern auch. Allen Betreuerinnen und Pflegekräften bin ich auch dankbar und schätze ihre Arbeit. Ich habe ein Dach über dem Kopf, immer genug zu Essen und muss keinerlei materielle Not leiden.

 

Das Problem mit der Dankbarkeit ist, dass ich dankbar bin für Hilfestellungen, die ich zwar brauche, aber eigentlich gar nicht möchte. 

 

Stell Dir vor, Du kannst nur Kaffee trinken, wenn Dir der Becher angereicht wird, weil Du ihn nicht selber halten kannst.

Sell Dir vor, Du müsstest Dir die Haare von jemanden kämmen lassen und Zähne putzen geht nur mit Unterstützung. 

Stell Dir vor, Du könntest nur einen Blogartikel schreiben, wenn jemand neben Dir sitzt, um Deine wilden Gedankengänge zu ordnen.

Stell Dir vor, Du hättest am Tag mehrere Zeitlücken und bist darauf angewiesen, dass Dir jemand sagt, was Du getan hast.

Stell Dir vor, Du kannst nur auf die Toilette gehen oder Dein Bett verlassen, wenn jemand in der Wohnung ist und Dich mit einem Patientenlifter bewegt.

Stell Dir vor, Dir muss jemand die Hose hochziehen, nachdem Du auf der Toilette warst.

Stell Dir vor, Du wärst nach einem Krampfanfall für bis zu 12 Stunden in einer Art "Wachkoma Dissoziation". Du musst gefüttert werden, und musst Schmerzen aushalten, weil Du Deinen Kiefer nicht weit genug öffnen kannst um eine Schmerztablette zu schlucken.

Stell Dir vor, dass Du Dir nicht selber das Gesicht oder andere Körperstellen waschen kannst, weil Deine Hände über Tage wegen hoher Anspannung zu Fäusten geballt sind und sich nicht öffnen lassen und Deine Arme zu schwach sind.

 

Natürlich kann ich mich glücklich schätzen, dass jemand da ist, der all das für mich tut. Und gleichzeitig empfinde ich aber ein markerschütterndes Scham- und Frustrationsgefühl. Es macht mich wütend, dass ich diese Dinge nicht alleine bewältigen kann. Schließlich bin ich eine erwachsene Frau.

 

Das Problem wird sogar noch größer dadurch, dass ich unter vielen Zwängen und Ängsten leide. Wenn bei der Pflege, Handlungen nicht "richtig" ausgeführt werden, dann möchte ich am liebsten schreien, um mich schlagen und weglaufen. Aber ich bin in meinem Körper gefangen. In diesen Momenten hat die Dankbarkeit keinen Platz in meinem Gefühlswirrwarr. Und das merkt die Pflegeperson natürlich deutlich. Alles wird noch schwieriger, weil ich stumm bin und nicht sagen kann was ich wie brauche. Ich muss darauf vertrauen, dass die Pflegeperson meinen Mix aus Gebärden und wilden Handbewegungen verstehen kann oder ich schnell genug auf meiner Sprachapp tippe.

 

Ich fühle mich also ohnmächtig, ausgeliefert und frustriert, habe Angst und Schmerzen und bin gleichzeitig dankbar dafür, dass mir jemand hilft. Ich bemühe mich meinen Pflegerinnen zu zeigen, dass ich für ihre Hilfe dankbar bin und sie wertschätze. Nicht immer gelingt mir das. Oft wirke ich abweisend, ungeduldig, fordernd und befehlerisch. Zum Beispiel schnipse ich oft mit den Fingern, weil das die einzige Möglichkeit ist, den anderen schnell zu vermitteln, dass mir etwas total unangenehm ist. Das ist auf keinen Fall böse gemeint, kommt aber verständlicherweise nicht gut an.

 

Wenn ich dann merke, dass meine Mutter oder Pflegerin durch mein Verhalten verunsichert wird, langsam verzweifelt oder selbst die Geduld verliert, dann bin ich selber auf mich wütend, habe Schuldgefühle und Selbsthass. Eine Abwärtsspirale, die sich nur schwer stoppen lässt und oft mit einer weinenden Mutter, Selbstbestrafungen und Dissoziativen Zuständen endet.

 

Wie man nun vielleicht verstehen kann, ist es mit der Dankbarkeit gar nicht so einfach. 

 

Bildnachweis: Sophie Lamezan_pixelio.de

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Karin (Freitag, 15 Dezember 2017 19:09)

    Liebe Johanna,

    Wenn du Lust hast schau dir doch mal den Film Butterfly Circus an. Ich las später mal das Buch "Leben ohne Limits" von Nick Vujicic der dort auch mitspielt, und vielleicht ist es dir möglich deine Nase rein zu stecken, oder vielleicht mag deine Ma es dir vorlesen.
    Ja deine Situation ist richtig scheisse und ja das wünscht man wirklich niemanden. Weder der Film noch das Buch werden deine Situation verbessern, aber vielleicht kannst du es ein klitzekleines bisschen besser ertragen. Ich drücke dir weiter fest die Daumen und hoffe das du eines schönen morgens einfach aufwachst und der ganze Spuk ein Ende hat. Du weisst ja: die Hoffnung stirbt zuletzt. Hab einen schönen Abend!